Erster Prozesstag gegen Beschuldigten wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz am 19. Februar endet mit Aussetzung wegen zahlreicher prozessualer Fragen

Dass das Sächsische Versammlungsgesetz seit der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshof nicht mehr gilt, hat die Verwaltung des Amtsgerichts Dresden noch nicht bemerkt. Jedenfalls lautete der Vorwurf gegen den Angeklagten laut Gerichtstafel: „Daniel H. wg. Störung von Versammlungen und Aufzügen (SächsVersG)“. Oder sollte man den Vorwurf der Staatsanwaltschaft Dresden machen?

13.10.11 –

Dass das Sächsische Versammlungsgesetz seit der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshof nicht mehr gilt, hat die Verwaltung des Amtsgerichts Dresden noch nicht bemerkt. Jedenfalls lautete der Vorwurf gegen den Angeklagten laut Gerichtstafel: „Daniel H. wg. Störung von Versammlungen und Aufzügen (SächsVersG)“. Oder sollte man den Vorwurf der Staatsanwaltschaft Dresden machen?

Wie auch immer. ca. 50 Zuschauer einschließlich Presse verfolgten heute (12.10.2011)– 8 Monate nach den Demonstrationen am 19. Februar 2011 – den ersten Prozess gegen einen sog. Blockierer, dessen Personalien auf der Kreuzung Fritz-Löffler-Straße/Reichenbachstraße (nachfolgend: Kreuzung) aufgenommen worden waren. Ihm wurde vorgeworfen gegen § 21 Versammlungsgesetz (VersG) verstoßen zu haben, indem er einen nicht verbotenen Aufzug grob gestört und sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung nicht unverzüglich entfernt habe, so jedenfalls die Staatsanwaltschaft in Verlesung der Anklageschrift.

Nachdem sich der Angeklagte nicht zur Sache äußern wollte, wurde der einzig geladene Zeuge, ein Polizeibeamter aus Brühl (Nordrhein-Westfalen) in den Zeugenstand gerufen. Dieser schilderte das Geschehen am 19. Februar vor Ort sehr detailreich:

Er sei an diesem Tage mit dem Abschnittsführer, einem Kollegen aus NRW und zwei weiteren Kollegen vor Ort gewesen. So sei zwar der Bereich um die Kreuzung in der Dresdner Südvorstadt großräumig durch sog. Sperrriegel abgesperrt gewesen, gleichwohl sei es einer „Gruppe“ von Personen gelungen, sich auf die Kreuzung zu begeben. Die Bundestagsabgeordnete Kippung habe sodann ein Versammlung angemeldet. Diese Anmeldung sei – in Ermangelung eines sächsischen Formulars ? auf einem der Polizeidirektion Köln protokolliert worden. Frau Kipping sei nach langen Verhandlungen angeboten worden, die Versammlung auf der Reichenbachstraße – außerhalb des Kreuzungsbereiches abzuhalten. Man habe ihr auch den Lautsprecherwagen der Polizei zur Verfügung gestellt. Allerdings hätten sich die Demonstranten nicht dazu bewegen lassen, auf die Reichenbachstraße zu gehen. Deshalb habe man gegen 14.30 Uhr die Versammlung durch dreimalige Durchsagen aufgelöst. Dies könne man auch auf Youtube sehen.

Einige Zeit später sei die komplette Gruppe umschlossen worden und man habe zur Aufnahme der Personalien einen Trichter mit zwei Polizeifahrzeugen gebildet. Irgendwann habe es dann einen Durchbruch von vielen Personen aus der Umschließung (auch Kesselung genannt) gegeben. Dieser sei wohl gewaltsam gewesen, allerdings habe er nicht an der Durchbruchstelle gestanden. Danach seien die übrigen 200 Demonstranten erneut umschlossen und gegen 16.36 Uhr deren Personalien aufgenommen worden.

Im Verlauf des Prozesses und auf Fragen der Prozessbeteiligten zu den für die Strafbarkeit relevanten Tatsachen verließ den Zeugen jedoch seine Detailkenntnis. Auf die Fragen, zu welcher Uhrzeit mit der Einschließung der Demonstranten an der Kreuzung begonnen wurde, konnte der Zeuge trotz mehrmaliger Nachfragen keine Antwort geben. Auch die Frage, ob nach der Kesselung der Demonstranten weitere Personen in den Kessel gelangen konnten, beantwortete er ausweichend, das dies normalerweise nicht ginge, man lasse niemanden rein oder raus. Der Durchbruch der Demonstranten nach der Kesselung habe jedenfalls außerhalb seiner Wahrnehmung gelegen. Auf die Frage, ob nach der Aufforderung zur Räumung des Platzes Sprechchöre zu hören gewesen wären, die sinngemäß zu einer Spontanversammlung aufriefen, konnte der Zeuge ebenfalls nicht antworten – dies sei ihm nicht erinnerlich.

Der Zeuge bot zur Unterstreichung seiner Aussagen einen CD-Mitschnitt der Verhandlung mit Frau Kipping und Videoaufnahmen an, die er bei sich hatte. Der Vorsitzende Richter Falk hat den Zeugen daraufhin gebeten, den Saal noch einmal zu verlassen. Er wollte sich zunächst die in der Akte befindlichen Videoaufzeichnungen ansehen, die habe er bislang noch nicht gesehen, da sein Dienstcomputer das Abspielen von DVDs nicht vorsehe. Während des gut halbstündigen Abspielens der DVD mit Videoaufnahmen der Polizei verwies die Verteidigerin des Angeklagten, Rechtsanwältin Pietrzyk, auf mehrere Ausschnitte. Auf einem waren Sprechchöre zu hören, in einem anderen Ausschnitt konnte man sehen, dass auffällige Personen, die sich vor dem Ausbruch hunderter Demonstranten außerhalb der Umschließung bewegten, nach der erneuten Schließung innerhalb des Kessels standen.

Nach Abspielen der DVD unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung für gut 20 Minuten, zog sich zu einer Beratung mit dem Staatsanwalt und der Verteidigerin zurück und gab danach bekannt, dass sich eine Reihe prozessrelevanter Fragen aufgetan hätten, zu dessen Klärung die Aussetzung des Prozess erforderlich sei. Der Prozess soll nun Anfang Dezember fortgesetzt werden.

Prozessbeobachtung: Dr. Juliane Hundert für die Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag

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